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Zertifizierte FortbildungManagement lebensbedrohlicher und nichtkontrollierbarer Blutungen unter AntikoagulationProf. Dr. Christian Nolte, BerlinProf. Dr. Jan Beyer-Westendorf, DresdenPD Dr. Jürgen Koscielny, bedrohliche Blutungen bei Patienten unter Antikoagulation erfordern eine notfallmäßige Therapie. Intrazerebrale Blutungen sind seltener als gastrointestinale Blutungen,dafür aber mit einer deutlich höheren Letalität assoziiert. Blutungsvolumen, Lokalisationund das sogenannte Spot-Sign im CT-Angiogramm als Hinweis auf eine aktive intrazerebrale Blutung sind prognoserelevant. Ist die Blutungsquelle unbekannt oder durch endoskopische oder chirurgische Maßnahmen nicht zeitnah kontrollierbar, kann eine Antikoagulationmit spezifischen Antidots rasch aufgehoben werden. Situationsabhängig ist die zusätzlicheGabe von Faktorenkonzentraten, Fresh Frozen Plasma und Blutkonserven notwendig.Die Messung der DOAK-Spiegel nach Antagonisierung zur Überprüfung der Wirksamkeit des Antidots sollte unterlassen werden, da hierzu spezielle Assays etabliert werdenmüssen (der „normale” Anti-Xa-Test würde falsch hohe Konzentrationen messen!). Ein Wiederbeginn der Antikoagulation nach erfolgreicher Blutstillung kann erfahrungsgemäß innerhalb von 48 bis 72 Stunden nach der Antagonisierung erfolgen. Nach einer intrazerebralenBlutung sollte bis zur Fortsetzung der Antikoagulation jedoch zwei bis vier Wochen abgewartet werden. Es ist u. a. das individuelle Thromboembolierisiko und Blutungsrisiko zu berücksichtigen. In der Studie ANNEXA-4 kam es bei 10,3 % Patienten in den ersten 30 Tagennach Anwendung zu thromboembolischen Ereignissen.Diese Fortbildung steht als animierterAudio vortrag (E-Tutorial) bzw. zumDownload in Textform zur Verfügung.Die Teilnahme ist kostenfrei.Die abschließende Lernerfolgskontrollekann nur online erfolgen. Bitte registrierenSie sich dazu kostenlos auf:www.cme-kurs.deZertifizierungLERNZIELEDiese Fortbildung wurde nach den Fort bildungsrichtlinien der Landes ärzte kammerRheinland-Pfalz von der Akademie für Ärztliche Fortbildung in RLP mit 4 CME-Punktenzertifiziert (Kategorie D). Sie gilt für das Fortbildungszertifikat der Ärztekammern.Die erworbenen CME-Punkte werdengemäß § 14 Abs. 4 Diplom-FortbildungsProgramm der Österreichischen Ärztekammer (DFP) im gleichen Umfang alsDFP-Punkte anerkannt.Am Ende dieser Fortbildung kennen Sie Redaktionelle Leitung/RealisationJ.-H. WiedemannCME-VerlagSiebengebirgsstr. 1553572 BruchhausenE-Mail: [email protected] Bedeutung von Lokalisation und Volumen bei intrazerebralen Blutungen,die Wirkungsweise von Andexanet alfa und die Besonderheiten bei der Anwendung,die Aufhebung der Antikoagulation bei intrazerebralen Blutungen und den Stellenwert des Spot-Signs,den differenzierten Einsatz von Andexanet alfa bei gastrointestinalen Blutungen,die Anwendung von Andexanet alfa bei einem stumpfen Trauma,die Empfehlungen zur Aufhebung der Antikoagulation in verschiedenen Leitlinien. CME-Verlag 2021 1
Zertifizierte FortbildungManagement lebensbedrohlicher und nicht-kontrollierbarer BlutungenEINFÜHRUNGIn den letzten Jahren hat die Verordnung von oralen Antikoagulanzien deutlich zugenommen. Das Zentralinstitut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung berichtetebereits 2018 über zehn Millionen Verordnungen pro Jahr für orale Antikoagulanzien,davon rund 7,5 Millionen für die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) und2,5 Millionen für die klassischen Vitamin-K-Antagonisten (VKA). Die Tendenz iststeigend. Aus den Zulassungsstudien mit Rivaroxaban und Apixaban ist bekannt,dass es pro Jahr bei 2 bis 3 % der Patienten zu akuten starken Blutungen kommt[1, 2]. Sie können als gelegentliche, jedoch schwerwiegende Komplikation an einemoder mehreren Organen auftreten, einschließlich Gehirn, Augen, Bauchraum undUrogenitalsystem. Gastrointestinale Blutungen sind häufiger als intrakranielleBlutungen ( Abb. 1). Insbesondere intrakranielle Blutungen sind mit einem hohen Mortalitätsrisiko von 43 bis 45 % assoziiert [3–6]. Wenn lebensbedrohlicheBlutungen unter einer Antikoagulation mit Apixaban oder Rivaroxaban durch andere Maßnahmen nicht kontrollierbar sind, kann die Gerinnungshemmung durchdas Antidot Andexanet alfa rasch aufgehoben werden [7, 8]. Zur Antagonisierungvon Edoxaban ist diese Substanz derzeit noch nicht zugelassen. Zur spezifischenAntagonisierung von Dabigatran steht der Wirkstoff Idarucizumab zur te (4F-PCC) führen nicht zu einer Reduzierung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität [9, 10].Rivaroxaban1Intrakranial13 %Gastrointestinalandere56 %31 %Apixaban2GastrointestinalIntrakranial12 %24 %andere64 %Abbildung 1Verteilung von Faktor-Xa-Inhibitorassoziierten schweren Blutungen[1, 2, 5]Gesamtrate schwerer Blutungen:3,6 %/Jahr5Gesamtrate schwerer Blutungen:2,13 %/Jahr2Der Einsatz von spezifischen Antidota bei mit direkten oralen Antikoagulanzienbehandelten Patienten wird deshalb in den Leitlinien von zahlreichen internationalen Fachgesellschaften empfohlen, wenn lebensbedrohliche und nicht kontrollierbare Blutungen auftreten [10–16]. In dieser Fortbildung werden anhand vonFallbeispielen aus der Praxis verschiedene Szenarien für einen potenziellen Einsatzvon Andexanet alfa vorgestellt und kommentiert.PATIENTENFALL 1:Intrakranielle Blutung mit gesicherter DOAK-Einnahme (Prof. Nolte)Vorstellen möchten wir einen 86 Jahre alten Patienten, männlich, der seit2,5 Stunden eine Halbseitenlähmung links aufweist. Auf der Glasgow-ComaScale (GCS) erreicht er 14 Punkte; er war also wach. Klinisch-neurologisch zeigte sich eine gering ausgeprägte, brachial betonte sensomotorische Hemipareselinks mit Dysarthrie und Neglect für links. Die Untersuchung entsprach siebenPunkten auf der National-Institutes-of-Health-Schlaganfallskala, was einemmittelgradigem Schweregrad entspricht. An Vorerkrankungen bestanden einVorhofflimmern, das oral antikoaguliert war, sowie eine chronische Nieren insuffizienz im Stadium III bis IV, ein arterieller Hypertonus und eine Prostata2 CME-Verlag 2021
unter Antikoagulationhyperplasie. Die Medikation bestand aus Rivaroxaban 15 mg (und wir warensicher, dass die letzte Einnahme innerhalb der letzten acht Stunden stattgefunden hatte) sowie Ramipril, Amlodipin und Tamsulosin. Die sofort durchgeführtecCT-Diagnostik zeigte eine Blutung rechts parietal, die den klinischen Befundsehr gut erklärt. Das unmittelbar nachfolgende cCT mit Kontrastmittel zeigtekeinen Hinweis für eine arteriell-venöse Malformation, ein Aneurysma, einenTumor, einen demarkierten Infarkt oder auf andere Blutungsquellen. Es zeigtesich auch kein sogenanntes „Spot-Sign”, also kein aktiver Kontrastmittelaustritt im Bereich der Blutung. Als Korrelat für den Neglect kann man am CT gutdie Kopfdrehung zur Seite erkennen. Das Labor zeigte eine Normoglykämie,deutlich veränderte Gerinnungsparameter, eine Anämie, eine normale Thrombozytenzahl und die vorbekannte Niereninsuffizienz.BEHANDLUNG EINER INTRAZEREBRALEN BLUTUNG BEI GESICHERTERLETZTER DOAK-EINNAHME (Prof. Nolte)Die Größe der intrazerebralen Blutung ist ein prognostisch wichtiger Faktor. DasVolumen der Blutung kann anhand der „A x B x C geteilt durch 2”-Regel ausgerechnet werden. Auf der CT-Aufnahme werden zunächst Breite und Tiefe der Blutungin Zentimetern ausgemessen. Danach wird die Anzahl der Schichten gezählt, aufder die Blutung zu sehen ist. Bei bekannter Schichtdicke kann auch die Höhe inZentimetern ausgerechnet werden. Das Volumen ergibt sich als Produkt der dreiFaktoren geteilt durch 2 in Kubikzentimetern ( Abb. 2). Je größer das Volumender Blutung ist, desto schlechter ist die Prognose. Blutungen mit einem Volumenbis 29 cm3 haben eine 30-Tage-Mortalität von 20 %. Patienten mit Blutungenmit einem Volumen von 30 bis 60 cm3 versterben zu 20 bis 50 %, und PatientenA: BreiteB: TiefeC: Höhe (Anzahl der Schichten)Volumen [cm3]: A x B x C [cm]2Abbildung 2Abschätzung des Volumens einerintrakraniellen Blutung mittelsComputertomografie [17]Abkürzungen:[A] Anterior, [P] Posteriormit noch größeren Blutungsvolumina versterben zu einem noch höheren Anteil[17]. Es erscheint deshalb intuitiv richtig, das Hämatomwachstum, das heißt dieVolumen zunahme zu verhindern. Dafür wird eine Normalisierung der Hämostaseangestrebt. Bei einem antikoagulierten Patienten ist die Hämostase gestört. Beiunserem Patienten wird dies durch die pathologisch veränderten Gerinnungswerteangezeigt. Zusätzlich passt die Anämie. Für die weitere Behandlung ist es wichtigzu wissen, ob es sich um eine Antiaggregation mit Thrombozytenfunktionshemmern (TFH) oder um eine orale Antikoagulation (OAK) handelt. Bei der OAK istzu differenzieren, ob sie durch Vitamin-K-Antagonisten (VKA) oder durch direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) verursacht wird. Bei den DOAK sind Faktor-IIAntagonisten, konkret Dabigatran, von Faktor-Xa-Antagonisten, konkret Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban, zu unterscheiden. Der oben genannte Patienthatte Rivaroxaban eingenommen. Seit 2019 steht Andexanet alfa zur Antagonisierung der Gerinnungshemmung durch Rivaroxaban zur Verfügung [8]. In der2019 veröffentlichten Zulassungsstudie ANNEXA-4 konnte gezeigt werden, dass CME-Verlag 2021 3
Zertifizierte FortbildungManagement lebensbedrohlicher und nicht-kontrollierbarer Blutungenmit Andexanet alfa bei gut 80 % der Patienten eine gute bis exzellente Hämostasewiederhergestellt werden kann [7]. Andererseits kam es in der Studie ANNEXA-4bei 10 % Patienten in den ersten 30 Tagen nach Anwendung zu thromboembolischen Ereignissen. In der ANNEXA-4-Studie gab es eine große Untergruppe vonPatienten mit intrakranieller Blutung. Bei 80 % der Patienten wurde nach der Gabevon Andexanet alfa eine gute bis exzellente Hämostase erreicht [18, 19]. In 71 von diesen 169 Patienten konnte auch das Hämatomwachstum beurteilt werden:Eine signifikante Blutungsvolumenzunahme wurde bei 79 % der Patienten innerhalb von einer Stunde verhindert und bei 77 % der Patienten innerhalb von zwölfStunden. Die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) hat deshalb Andexanetalfa 2019 als zusätzliche therapeutische Option anerkannt [20]. 4F-PPSB wird als Alternative in der Behandlung gesehen. Welches Medikament besser ist, ist derzeit noch nicht geklärt. Die europäische Schlaganfallorganisation (ESO) gibt folgende Behandlungsoptionen an: erstens 4F-PPSB, zweitens Fresh Frozen Plasma(FFP), drittens bei Dabigatran das spezifische Antidot Idarucizumab und viertensbei Apixaban oder Rivaroxaban Andexanet alfa. Zusammenfassend empfiehlt dieESO den Einsatz von Andexanet alfa – sofern es vorhanden ist. Die Gesellschaft betont aber auch die Notwendigkeit weiterer Studien, um die besten Behandlungenzu identifizieren [12].Wir haben bei dem oben genannten Patienten Andexanet alfa gegeben. WeitereMaßnahmen waren auf der Grundlage einer Good Clinical Practice (GCP): Blutdruckmanagement, Aufnahme auf die Stroke Unit, Oberkörperhochlagerung(30 Grad) sowie bei einer Anämie die Suche nach weiteren Blutungsquellen.Der oben genannte Patient hat sich erholt. Der Neglect hat sich deutlich gebessert. Das Kontroll-CT nach fünf Tagen zeigte eine rückläufige intrakranielle Blutung. Der Patient konnte danach in eine Rehabilitation verlegt werden.Wie bereits erwähnt, ist derzeit noch nicht geklärt, ob bei einer intrakraniellenBlutung bei einem mit Rivaroxaban oder Apixaban antikoagulierten Patienten dieGabe von 4F-PPSB oder die von Andexanet alfa die bessere Option ist. Derzeitläuft eine randomisierte Studie, die Andexanet alfa gegen die übliche Behandlung(usual care) bei intrakraniellen Blutungen testet. Es gibt bereits einige Vergleiche,die aber überwiegend aus Registerdaten stammen, zum Beispiel aus dem ORANGERegister oder dem RETRACE-Register. Diese Daten haben alle den Nachteil, dass sienicht aus randomisierten Studien stammen und deshalb die Behandlungsgruppennur eingeschränkt vergleichbar sind, da verschiedene Bias berücksichtigt werdenmüssen. In den Registerstudien erscheint die Gabe von Andexanet alfa vorteilhaft.In einer aktuell publizierten monozentrischen Studie mit kleinen Fallzahlen wurden Patienten mit einer intrakraniellen Blutung unter Apixaban oder Rivaroxabanentweder mit 4F-PPSB oder Andexanet alfa behandelt. In der Andexanet-Gruppewar der Anteil an Patienten mit guter oder sogar exzellenter Hämostase größerals bei den Patienten, die mit 4F-PPSB behandelt wurden. Aufgrund der kleinenFallzahlen und der fehlenden Adjustierung hat dieses Ergebnis aber nur eine eingeschränkte Aussagekraft [21].WIRKUNGSWEISE UND DOSIERUNG VON ANDEXANET ALFA(PD Dr. Koscielny)Andexanet alfa ist im Prinzip als Köder für eine Aufnahme von Faktor-Xa-Inhibi-toren entwickelt worden. Das Molekül besitzt dazu die gleiche Bindungsstelle wiedie Faktor-Xa-Inhibitoren. Andexanet alfa hat aber keine eigenständige gerinnungshemmende Wirkung. Im Vergleich zum klassischen Faktor-Xa findet sich imWirkzentrum an Position 419 beim Andexanet alfa die Aminosäure Alanin stattSerin, wodurch die katalytische Aktivität ausgeschaltet wird. Außerdem ist beimAndexanet alfa keine membranbindende Carboxyglutaminsäure-Domäne mehr4 CME-Verlag 2021
unter Antikoagulationvorhanden, die für weitere inhibitorische Mechanismen benötigt wird. Andexanetalfa fängt in Konkurrenz zum Faktor Xa die Faktor-Xa-Inhibitoren ab ( Abb. 3).Obwohl Andexanet alfa primär keinen Einfluss auf die Hämostase hat, kann eineInteraktion mit dem Tissue-Factor-Pathway-Inhibitor stattfinden, was durchauszu einer gesteigerten Thrombingenerierung führen kann [22, 23]. Abbildung 4veranschaulicht die Ergebnisse einer Untersuchung mit gesunden Probanden, diemit Rivaroxaban oder Apixaban antikoaguliert wurden ( Abb. 4). Die Wirkungdes parenteral verabreichten Antidots Andexanet alfa ist zeitlich begrenzt undgut steuerbar. Nach Applikation eines Bolus muss der Wirkstoff über eine Infusionüber zwei Stunden weiter zugeführt werden, weil sonst nach zwei bis drei Stunden keine Wirksamkeit mehr nachweisbar ist. Patienten, die mit Apixaban antikoaguliert wurden, brauchen in der Regel eine geringere Dosis von Andexanet alfa zurAufhebung der Antikoagulation als Patienten, die mit Rivaroxaban antikoaguliertwurden [7].Abkürzungen:GLA gamma-CarboxyglutamatFXa Faktor XaFXa InhibitorNative FXaS419GLABindungsstelleKatalytische DomäneSSFXa InhibitorAndexanet alfaHohe AffinitätunverändertGLA Domäne entfernt, um Bindungan Thrombozyten zu verhindernN terminale Monomere erhalten,um Immunogenität zu reduzierenAbbildung 3Wirkungsmechanismus von Andexanet alfa mit Darstellungder Struktur im Vergleich zu nativem Faktor Xa [23]A419SSBindungsstelleKatalytische DomäneAminosäureaustausch,um Thrombinbildung zuverhindernDie Dosierung von Andexanet alfa hängt von der zur Antikoagulation verwendeten Substanz, von der Höhe der eingenommenen Dosis und vom Zeitintervall seitder letzten Dosiseinnahme ab. Wurde mit Apixaban mit einer Dosis 5 mg odermit Rivaroxaban 10 mg antikoaguliert, wird unabhängig vom Zeitintervall immerdie niedrige Dosis von Andexanet alfa verabreicht. Ist die Apixaban-Dosis 5 mg,die Rivaroxaban-Dosis 10 mg oder sind die Dosierungen unbekannt, kommt beieinem Zeitintervall von 8 Stunden oder einem unbekannten Zeitintervall die Andexanet-alfa-Hochdosis zum Einsatz. Bei einem Zeitintervall von 8 Stunden wird Andexanet alfa grundsätzlich niedrig dosiert. Die niedrige Dosis besteht aus einerinitialen intravenösen Bolusgabe von 400 mg Andexanet alfa, die mit 30 mg/minerfolgen soll. Daran schließt sich eine intravenöse Dauerinfusion über 120 Minutenmit 4 mg Andexanet alfa/min an. Insgesamt werden für die niedrige Dosis fünfDurchstechflaschen á 200 mg benötigt. Bei der hohen Dosis wird ein Bolus von800 mg mit 30 mg/min injiziert, gefolgt von einer zweistündigen Dauerinfusionvon 8 mg/min. Für die hohe Dosis werden insgesamt neun Durchstechflaschená 200 mg benötigt [8].Bei schweren lebensbedrohlichen Blutungen kann die Bestimmung der DOAKPlasmaspiegel sinnvoll sein, um die Indikation für eine Antagonisierung der Anti CME-Verlag 2021 5
Zertifizierte FortbildungManagement lebensbedrohlicher und nicht-kontrollierbarer BlutungenEndeBolus250EndeInfusionAndexanet 400 mg i.v.Bolus,plus 4 mg/min InfusionAndexanet (n 23)Apixaban (ng/ml)200150Placebo (n 8)100500–2024Rivaroxaban (ng/ml)400Abbildung 4Reduktion der Anti-Xa-Aktivitätvon Apixaban und Rivaroxaban um 90 % (Mittelwert) innerhalb vonzwei Minuten nach Bolusgabe undErhaltung dieser Reduktion während einer zweistündigen Infusion(modifiziert nach [7])681012Andexanet 800 mg i.v.Bolus,plus 8 mg/min InfusionAndexanet (n 26)300Placebo (n 13)2001000–2024681012Zeit nach Bolus (Std.)koagulation zu stellen. Sowohl bei Apixaban als auch bei Rivaroxaban werden beischweren lebensbedrohlichen Blutungen Plasmaspiegel von 50 ng/ml gemäßISTH-Expertenkonsensus als Richtschnur für den Einsatz von Andexanet alfadiskutiert, wenn die Blutung nicht anders kontrolliert werden kann. Hierzu gibt esderzeit noch keine prospektiven Daten. Bei Dabigatran gibt es ebenfalls eine aufdem ISTH-Expertenkonsensus basierende Empfehlung ab einer Plasmakonzen tration von 50 ng/ml, jedoch mit dem spezifischen Antidot Idarucizumab. Für dasEdoxaban werden ebenfalls 50 ng/ml als relevante Plasmakonzentration angenommen, allerdings sind die klinischen Studien zur Aufhebung der Antikoagula tion für dieses DOAK noch nicht abgeschlossen. Für Vitamin-K-Antagonisten undHeparine sind keine spezifischen Plasma kon zen tra tionen bekannt, ab denen Maßnahmen zur Aufhebung der Antikoagulation indiziert sind [24–27].ANWENDUNG VON ANDEXANET ALFA BEI HEPARINISIERTENPATIENTEN (PD Dr. Koscielny)In einem Rote-Hand-Brief vom November 2020 wird darauf hingewiesen, dass vorund während der Anwendung von Andexanet alfa eine Heparinisierung vermiedenwerden sollte. Heparine wirken ebenfalls über die Faktor-Xa-Hemmung; deshalbkommt es zu Wechselwirkungen mit Andexanet alfa. Wenn Andexanet alfa undHeparin in einem kurzen Abstand zueinander gegeben werden, können die Ergebnisse von Gerinnungstests täuschen, das heißt, die Überwachung der Wirkung vonAndexanet alfa in Gegenwart von aktiven Heparinen ist nicht validiert. Weiter wirddarauf hingewiesen, dass die Anwendung von Andexanet alfa zur Aufhebung einer Antikoagulation mit Apixaban und Rivaroxaban zwar bei akut lebensbedrohlichblutenden Patienten zugelassen ist, aber nicht vor dringenden chirurgischen Eingriffen bei antikoagulierten Patienten. Dieses Szenario wird im Moment klinischgeprüft [28].6 CME-Verlag 2021
unter AntikoagulationPATIENTENFALL 2:Gastrointestinale Blutung unter gesicherter DOAK-Einnahme(Prof. Beyer-Westendorf)Männlicher Patient, 74 Jahre alt, mit einer Gastrointestinalblutung. Der Patientist dauerhaft antikoaguliert mit Apixaban wegen eines Vorhofflimmerns bei Tachyarrhythmia absoluta. Der Patient hat sich einer elektiven Koloskopiewegen Unterbauchbeschwerden unterziehen müssen, dabei wurde ein Polypabgetragen. Es kam zu einer Adrenalinunterspritzung, anschließend war dieAbtragungswunde stabil. Am Abend des zweiten Tages nach der Koloskopiewar der Patient zu Hause und setzte akut frisches Blut rektal ab. Es kam zurEntwicklung eines Schocks, Zyanosezeichen, Tachykardie und Erschöpfung, sodass die Ehefrau den Notarzt alarmierte und der Patient bei uns in der Notaufnahme vorgestellt wurde. Seine Dauermedikation war Apixaban 2 x 5 mg proTag mit der letzten Einnahme vier Stunden vor der stationären Aufnahme. BeiEintreffen des Patienten zeigte sich eine Tachykardie mit einer Herzfrequenzvon 160/min, eine Hypotonie mit einem systolischen Blutdruck von 70 mmHg,eine ausgeprägte Anämie mit einem Hämoglobinwert von 3,8 mmol/l oder6,1 g/dl. Leukozyten und Thrombozyten waren normal. Quick und PTT warenim Normbereich, aber wir wussten zu diesem Zeitpunkt aus der Anamnesesicher, dass die letzte Apixaban-Einnahme erst vier Stunden zurücklag.Differenziertes Vorgehen bei kontrollierbaren gastrointestinalen Blutungen(Prof. Beyer-Westendorf)Nach der sofortigen Verlegung des Patienten auf die Intensivstation wurdeder Kreislauf mit Katecholaminen und Infusionen stabilisiert und der Patientk oloskopiert, da anzunehmen war, dass der Patient an der Stelle blutete, woder Polyp abgetragen wurde. Die Blutungsstelle wurde schnell lokalisiert, dieWunde konnte mit Clips suffizient versorgt werden. Bis zum Ende der Kolo skopiekam es zu keinen weiteren Nachblutungen; der Patient wurde noch für weitere48 Stunden überwacht und am dritten Tag entlassen.Grundsätzlich muss bei mit DOAK antikoagulierten Patienten mit Blutungen gerechnet werden, auch wenn diese seltener bluten als Patienten, die mit VKA antikoaguliert wurden. Unter den nicht schweren Blutungen unter DOAK stellen die gastrointestinalen Blutungen zusammen mit der Hämatomneigung und der Anämiedie führende Manifestation dar. Bei den schweren Blutungen sind gastrointestinaleBlutungen mit Abstand die führende Lokalisation, und hier ergibt sich die Fragenach dem Stellenwert einer Antidot-Behandlung. Das Problem besteht bei dieserBlutungslokalisation darin, dass ein oral aufgenommener potenter Blutverdünnerin hoher Konzentration auf eine Gewebeläsion zum Beispiel im Magen trifft und sodie Blutung aus der Läsion aktiv unterhalten kann. Daraus ergeben sich prinzipiellmehrere Behandlungsansätze: Erstens kann das DOAK pausiert werden, zweitenskönnen die Läsionen als Blutungsquelle behandelt werden und drittens könnte dasim Blut zirkulierende DOAK durch ein Antidot ausgeschaltet werden. Um dieses zuentscheiden, müssen gerade bei gastrointestinalen Blutungen zwei klinische Szenarien unterschieden werden: Entweder kann eine Blutung endoskopisch erkanntund verschlossen werden, oder es handelt es sich um eine endoskopisch nicht erkennbare oder nicht verschließbare Läsion. Für die endoskopische Versorgung vongastrointestinalen Blutungen stehen mehrere Optionen zur Verfügung: Die Unterspritzung mit Adrenalin, das Verkleben mit Fibrin oder Histoacryl, die Ligatur,die Applikation von Hämoclips, die thermische Verödung oder die breitflächigeBlutstillung mit einem Hemospray. In dem oben geschilderten Fall liegt ganz klardas Szenario 1 vor: Der Patient hat eine identifizierte gastrointestinale Blutung miteiner schnell und gezielt versorgbaren Läsion. In diesem Fall ist die endoskopischeVersorgung wichtiger als die Messung des Apixaban-Plasmaspiegels, die Aufhebung CME-Verlag 2021 7
Zertifizierte FortbildungManagement lebensbedrohlicher und nicht-kontrollierbarer Blutungender Antikoagulation mit Andexanet alfa oder die Gabe von Faktorenkonzentratenwie 4f-PPSB.Die Gabe von Andexanet alfa oder Faktorenkonzentraten wäre bei diesem akutenNotfallpatienten im hämorrhagischen Schock zwar prinzipiell kein Fehler gewesen,aber die folgenden Gründe sprechen gegen eine solche Strategie: Der Zeitverlust bis zur Anforderung des Antidots, des Faktorenkonzentrates oder bis zum Vorliegen des Apixaban-Spiegels führt zu einer Verzögerung der Endoskopie. Die Aufhebung der Antikoagulation oder die Gabe von Faktorenkonzentrat dürfte bei diesem Patienten nicht zur Blutstillung ausreichen, da erstark aus einem Gefäßstumpf nach Polypabtragung blutet. Demgegenüber können Antagonisierungsstrategien bei dem Patientenmit Vorhofflimmern das Schlaganfallrisiko erhöhen. Die zusätzlichen Kosten eines medizinisch nicht notwendigen Antidotsoder Faktorenkonzentrates sind schwer zu rechtfertigen.Wenn die Blutung bei dem Patienten endoskopisch nicht versorgt werden könnte,könnte natürlich durchaus eine Antidot-Gabe erwogen werden. Zuvor sollte aberder Apixaban-Spiegel bestimmt werden, um zu schauen, ob überhaupt suffizienteMedikamentenspiegel in dem Patienten vorliegen. In dem oben geschilderten Fallwäre eine Apixaban-Antagonisierung also ein Eskalationsschritt für den Fall einererfolglosen endoskopischen Therapie.PATIENTENFALL 3:Intrakranielle Blutung mit vermuteter DOAK-Einnahme (Prof. Nolte)Ein 77 Jahre alter männlicher Patient mit einer Halbseitenlähmung rechts. DasZeitfenster vom Auftreten der Lähmung bis zur Vorstellung ist unklar. Der Patient spricht kein Deutsch, und es steht kein Dolmetscher zur Verfügung. DieSymptomatik besteht vermutlich seit mehreren Stunden, auf der GlasgowComa- Scale erreicht der Patient 14 Punkte, er ist also wach. Klinisch-neurologisch zeigt sich eine mittelgradige Hemiparese links und eine Dysarthrie,die auf der National-Institutes-of-Health-Schlaganfallskala einem Punktwertvon 6 entsprechen, ein mittlerer Schlaganfallschweregrad. An Vorerkrankungen besteht ein Vorhofflimmern, das oral antikoaguliert ist, eine COPD sowieeine Prostatahyperplasie. Der Patient erhielt vor einiger Zeit eine Kniegelenkstotalendoprothese (TEP) und rauchte bis vor wenigen Jahren. Die Medikationkennen wir aus einem Begleitschreiben, das der Patient dabeihat. Er nimmt20 mg Rivaroxaban ein, Trospium und Tamsulosin. Das Labor zeigt eine Normoglykämie, keine veränderten Gerinnungswerte, keine Anämie und einenormale Thrombozytenzahl. Das Serumkreatinin weist auf eine leichte Niereninsuffizienz hin. Das sofort durchgeführte cCT zeigt eine gut sichtbare Stammganglienblutung links, das nachfolgende cCT mit Kontrastmittel zeigte keinearteriell-venöse Malformation, kein Aneurysma, keinen demarkierten Infarkt,keine Metastase und keinen Tumor als Blutungsquelle. Zu sehen ist aber einsogenanntes „Spot-Sign”, also ein akuter Kontrastmittelaustritt in die Blutungals Zeichen einer Blutung, die noch aktiv blutet.BEHANDLUNG EINER INTRAZEREBRALEN BLUTUNG BEIUNBEKANNTER LETZTER DOAK-EINNAHME (Prof. Nolte)Zusätzlich zu der bereits in der Falldarstellung 1 erwähnten Größe der intrazerebralen Blutung ist auch die Lokalisation der Blutung von prognostischer Relevanz. Wirunterscheiden lobäre oder atypische von sogenannten „Loco-typico”-Blutungen.Lobäre Blutungen sind in der Peripherie des Großhirns lokalisiert. „Loco-typico”Blutungen finden sich in den Stammganglien, dem Thalamus, der Pons oder dem8 CME-Verlag 2021
unter AntikoagulationKleinhirn ( Abb. 5). Infratentorielle Blutungen in der Pons und im Kleinhirn habendabei eine schlechtere Prognose [29–32].ABCAbbildung 5Darstellung von typischen (B, C, D, E)und atypischen (A) intrazerebralenBlutungslokalisationen( Elsevier Images)DEAbkürzungen:A Lobar, B Stammganglien/Putamen,C Thalamus, D Pons, E ZerebellumBei unserem Patienten war das Zeitfenster seit Einnahme der letzten RivaroxabanDosis unbekannt; die Einnahme hätte theoretisch schon mehrere Stunden zurückliegen können. Die Gerinnungswerte waren nicht pathologisch, die RivaroxabanWirkung könnte also auch aufgehoben sein. Die Gabe von Andexanet alfa wirdvon der Gesellschaft der amerikanischen Notfallmediziner bis zu 18 Stunden nachEinnahme empfohlen. Diese Empfehlung bezieht sich aber nicht auf intrakranielleBlutungen im Speziellen, sondern auf aktive Blutungen im Allgemeinen [13]. Auchist die Frage berechtigt, ob Gerinnungstest bei dieser Entscheidung helfen. Die europäischen und deutschen Leitlinien geben hierzu keine Empfehlung, da es keinegenügende Korrelation zwischen kalibrierten, quantitativen Anti-Faktor-Xa-Testsund der gerinnungshemmenden Wirkung der Xabane gibt. Rivaroxaban erhöhtzwar die International Normalized Ratio (INR), diese ist aber nicht geeignet, umdie Aktivität von Rivaroxaban präzise zu bestimmen. Bei unserem Patienten wardie INR nicht pathologisch. Andererseits zeigt das Spot-Sign eine aktive Blutungan ( Abb. 6). Die Wahrscheinlichkeit eines Hämatomwachstums, das heißt einerVolumenzunahme ist in diesem Fall um den Faktor 2 bis 3 erhöht, wie Kollegen ausCT bei AufnahmeCTA bei AufnahmeCT nach 24 Stunden20 ml HämatomvolumenSpot Sign (Pfeil)deutliches HämatomwachstumAbbildung 6Darstellung der Volumenzunahme einer intrakraniellen Blutung innerhalb von 24 Stunden. Das Spot-Sign(Pfeil) im CTA nach Kontrastmittel gabe zeigt eine aktive Blutung an [33]Abkürzungen:CT ComputertomogrammCTA Computertomografische AngiografieKanada nachweisen konnten [33]. Entsprechend der Europäischen HerzrhythmusGesellschaft können wir das Risiko der Blutung hinsichtlich einer Verschlechterunganhand der Nierenfunktion (hier Stadium 2 Insuffizienz mittleres Risiko), desHb-Wertes (hier stabil), der Gerinnungswerte (hier nicht pathologisch verändert)und des Blutungsvolumens einschätzen (hier geschätzt 20 cm3 niedrigeres Risiko). CME-Verlag 2021 9
Zertifizierte FortbildungManagement lebensbedrohlicher und nicht-kontrollierbarer BlutungenAndererseits zeigt das Spot-Sign ein hohes Risiko für eine Volumenzunahme undeine schlechte Prognose an [10, 14].Der Patient wurde gemäß ESO-Guideline [12] mit Andexanet alfa behandelt,da er u. E. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit unter aktiv wirksamer Therapiemit Rivaroxaban stand. Die Gabe von 4F-PPSB wäre laut Leitlinie eine weitereOption gewesen. Unklar ist, ob bei unserem Patienten ein Zuwarten möglichgewesen wäre. Weitere Maßnahmen erfolgten auf der Grundlage einer GoodClinical Practice (GCP) und beinhalten wie bei Fall 1 das Blutdruckmanagement, die Aufnahme auf die Stroke Unit und die Oberkörperhochlagerung (30Grad). Der Patient erholte sich gut, die Blutung bildete sich gut zurück. Er konnte nach einer Woche auf die Rehabilitation verlegt werden.PATIENTENFALL 4:Stumpfes Trauma nach Verkehrsunfall unter Antikoagulation mit einemDOAK (PD Dr. Koscielny)Der Patient wurde nach einem Autounfall mit einem ausgeprägten stumpfenTrauma mit einer offenen, blutenden, transfusionspflichtigen Femurfrakturund Beckenringfraktur kurz vor Mitternacht in die Rettungsstelle der Charitéeingeliefert. Der bereits nicht mehr ansprechbare Patient ist 68 Jahre alt,männlich, Gewicht 85 kg. Der Verletzungsschweregrad laut ISS-Score liegt bei 25, der Revised-Trauma-Score (RTS) liegt etwa bei 5, das heißt also: deutlicheEinschränkung der physiologischen Funktionen, kurz vor der Beatmungspflichtigkeit. Der Patient hat entsprechend diesem Verletzungsmuster laut Traumaand Injury Severity Score (TRISS) eine Überlebenswahrscheinlichkeit von
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