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Systemische Beratung und die ResonanzbildmethodeDISSERTATIONzur Erlangung des akademischen Gradeseines Doktors der Philosophieam Fachbereich 1:Erziehungswissenschaften/Fachbereich 5:Erziehungswissenschaftender Universität Koblenz-Landauvorgelegtam 01. Juli 2016von Volker KielGeboren am 14. September 1969in GöttingenReferent: Professor Dr. Theo HülshoffKorreferent: Professor Dr. Jendrik Petersen
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InhaltsverzeichnisTABELLENVERZEICHNIS. 51EINLEITUNG . 61.1Ausgangslage und Problemstellung . 61.2Untersuchungsgegenstand . 111.3Wissenschaftliche Fragestellungen und Zielsetzungen . 131.4Methodische Vorgehensweise . 161.5Aufbau der Arbeit . 182THEORETISCHER BEZUGSRAHMEN FÜR DASVERÄNDERUNGSVERSTÄNDNIS SYSTEMISCHER BERATUNG. 202.1Geschichtliche Entwicklung systemischen Denkens in der Beratung . 212.2Was ist ein System? . 252.3Menschliche Konstruktion von Wirklichkeit . 322.42.52.3.1Vorstellung als sinnesbezogene Repräsentation von Objekten und Ereignissen .352.3.2Kognitive Schemata als mentale Repräsentation von Objekten und Ereignissen .382.3.3Konstruktion menschlicher Erkenntnis nach Kant.412.3.4Radikale Konstruktion von Wirklichkeit nach Glasersfeld .502.3.5Kognitive Schemata als Konstruktion von Wirklichkeit nach Piaget .582.3.6Wirklichkeit erster und zweiter Ordnung nach Watzlawick .662.3.7Zusammenfassung und Diskussion .68Veränderung menschlicher Konstruktion von Wirklichkeit . 772.4.1Lösungen erster und zweiter Ordnung .782.4.2Wandel erster und zweiter Ordnung.802.4.3Veränderung durch Information .862.4.4Veränderung durch Umdeutung .902.4.5Zusammenfassung: Veränderung menschlicher Konstruktion von Wirklichkeit.94Lebende Systeme in Anbetracht der Autopoiese . 962.5.1Der grundlegende Mechanismus lebender Systeme .1002.5.2Autonomie lebender Systeme .1042.5.3Strukturelle Kopplung lebender Systeme .1082.5.4Menschliches Erkennen als Ergebnis autopoietischer Organisation .1132.5.5Zusammenfassung: Mechanismen lebender Systeme .1182.5.6Kritische Betrachtung .1182
2.62.72.82.9Die Bedeutung der Autopoiese für das Veränderungsverständnis systemischer Beratung. 1223.2Die Bedeutung von Autonomie .1222.6.2Die Bedeutung von struktureller Kopplung .1252.6.3Die Bedeutung menschlichen Erkennens .1312.6.4Zusammenfassung und Diskussion .134Selbstorganisierende Systeme in Anbetracht der Synergetik . 1432.7.1Voraussetzungen für selbstorganisierende Systeme .1472.7.2Bildung von Attraktoren und Ordnung in selbstorganisierenden Systemen .1492.7.3Kontrollparameter in selbstorganisierenden Systemen .1512.7.4Phasenübergänge in selbstorganisierenden Systemen .1522.7.5Zusammenfassung: Prinzipien der Selbstorganisation offener Systeme .154Die Bedeutung der Synergetik für das Veränderungsverständnis psychischer Systeme . 1572.8.1Attraktor und Ordnung in psychischen Systemen .1602.8.2Kontrollparameter in psychischen Systeme .1702.8.3Ordnungsübergänge in psychischen Systemen .1762.8.4Zusammenfassung und Diskussion .179Zusammenfassung: Aspekte der Veränderung psychischer Systeme . 18933.12.6.1DIE RESONANZBILDMETHODE IM HINBLICK AUF EINSYSTEMISCHES VERSTÄNDNIS VON VERÄNDERUNG . 204Bestimmung grundlegender Begriffe und deren Verbindungen . 2053.1.1Zum Verständnis von Intervention .2053.1.2Digitale und analoge Intervention – diskursives und intuitives Erkennen .2083.1.3Analogie als Erkenntnis durch Vergleich .2163.1.4Bild als analoge Repräsentation von Objekten oder Ereignissen .2193.1.5Zum Verständnis von Resonanz .2243.1.5.1Resonanz als physikalisch-physiologisches Phänomen .2263.1.5.2Resonanz als kognitives Phänomen in der Gedächtnispsychologie .2293.1.5.3Resonanz als psychisches Phänomen in der Musikästhetik.2303.1.5.4Zusammenfassende Betrachtung .233Die Resonanzbildmethode nach Gisela Schmeer . 2353.2.1Theoretische Ansätze zur praktischen Fundierung der Resonanzbildmethode .2383.2.1.1Psychoanalytische Sichtweise .2403.2.1.2Systemische Sichtweise .2463.2.1.3Zeichentheoretische Bezüge .2533.2.1.4Bildanalytische Ansichten .2603.2.1.5Kognitionspsychologische Ansätze .2623.2.1.6Zusammenfassende Betrachtung .2653
3.2.23.3Das Verfahren bei der praktischen Anwendung von Resonanzbildern .267Beschreibung wesentlicher Elemente und Aspekte der Resonanzbildmethode . 27343.3.1Das Initialbild .2733.3.2Das Resonanzbild.2773.3.3Die Auswahl als aktiver Vorgang des Wahrnehmenden .2883.3.4Beziehungen zwischen bildlicher und sprachlicher Ebene .2983.3.5Das Initialbild und das Resonanzbild miteinander verbinden .3093.3.6Die Verbindungen zwischen Initialbild und Resonanzbild im Dialog besprechen .323ZUSAMMENFASSENDE BETRACHTUNG UNDSCHLUSSFOLGERUNGEN . 334LITERATURVERZEICHNIS . 349ANHANG . 359ALEITFADEN TEILSTRUKTURIERTES INTERVIEW MIT PROF. DR.SCHMEER. 359BTRANSKRIPTION INTERVIEW MIT PROF. DR. SCHMEER . 3614
AbbildungsverzeichnisAbbildung 1 Die Einbettung der Resonanzbildmethode im theoretischen Feld . 12Abbildung 2 Subjektive Konstruktion von Wirklichkeit . 73Abbildung 3 Vorgang der Umdeutung . 92Abbildung 4 Schematische Darstellung der Autopoiese lebender Systeme . 102Abbildung 5 Vorgang der strukturellen Kopplung . 110Abbildung 6 Drei Ebenen bei der Konstruktion von Wirklichkeit . 138Abbildung 7 Grundschema der Synergetik . 156Abbildung 8 Subjektive Wirklichkeit als Phänomen von Selbstorganisation . 183Abbildung 9 Das Strukturmodell der Psyche nach Freud . 240Abbildung 10 Das erweiterte Strukturmodell der Psyche . 241Abbildung 11 Vernetzung von Bildelementen durch Dialoge . 247Abbildung 12 Der menschliche Organismus als System. 249Abbildung 13 Das Initialbild von Teilnehmerin A . 268Abbildung 14 Das Resonanzbild von Teilnehmerin A . 271Abbildung 15 Das auslösende Bild von Teilnehmerin A . 271Abbildung 16 Das Initialbild von Teilnehmer B . 274Abbildung 17 Das Resonanzbild von Teilnehmer B . 277Abbildung 18 Das auslösende Bild und Resonanzbild von Teilnehmerin A . 280Abbildung 19 Das auslösende Bild und Resonanzbild von Teilnehmer B. 281Abbildung 20 Das Initialbild und Resonanzbild von Teilnehmerin C . 309Abbildung 21 Das Initialbild und Resonanzbild von Teilnehmerin D . 318TabellenverzeichnisTabelle 1 Digitales und analoges Denken . 2095
11.1EinleitungAusgangslage und ProblemstellungPsychosoziale Beratung ist ein weites und unübersichtliches Feld, in welchemPraktiker zwar zahlreiche Methoden und Interventionen in der Praxis anwenden,die jedoch in der Fachliteratur häufig nicht oder nur oberflächlich theoretischfundiert sind. Hier stellt sich bei allen psychosozialen Beratungsansätzen dieFrage, wie das Handeln der Berater und hier insbesondere die in der Praxisangewandten Methoden und Interventionen theoretisch begründet sind. Oder:Durch welche theoretischen Grundlagen wird das Handeln von Beratern in derPraxis geleitet und atungsfeldallgemeininpsychoanalytische bzw. tiefenpsychologische und verhaltensorientierte Verfahrensowie in Ansätze der Humanistischen Psychologie aufteilen, die jeweils durcheigene theoretische Konzepte mehr oder weniger in ihrer Praxis untermauert sind.Seit Mitte der 1980er-Jahre bis heute dienen zunehmend systemtheoretischeKonzepte zur theoretischen Fundierung der psychosozialen Beratungspraxis,woraus die sogenannte „systemische Beratung“1 hervorgegangen ist. SystemischeBeratung ist heute weit verbreitet und wird für einzelne Personen, Gruppen,Teams, Familien und für Organisationen angeboten.Systemische Beratung wird als konzeptioneller Entwurf psychosozialer Praxis aufder Grundlage „systemischen Denkens“ verstanden. Mit systemischem Denken isteine grundlegende Betrachtungsweise psychischer und sozialer PhänomeneNach Schlippe/Schweitzer (1996) bestehen zwischen „systemischer Beratung“ und„systemischer Therapie“ keine wesentlichen theoretischen und methodischenUnterschiede. Unterschiede ergeben sich nur aus den verschiedenen Praxisfeldern.„Medizin, Psychotherapie, Sozialarbeit, Management und Politik weisen wichtigedifferente ‚Eigen-Logiken‘ auf, auf die sich im systemischen Rahmen tätige Personensinnvollerweise einstellen sollen“ (vgl. Schlippe/Schweitzer 1996, 15).1Auch Schiersmann/Thiel sehen zwischen Therapie und Beratung konzeptionell mehrGemeinsamkeiten als Unterschiede und bewerten die Übergänge eher als fließend (vgl.ebda. 2012, 25). Da der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit inverschiedenen Kontexten verortet ist, wird im Folgenden der Begriff „systemischeBeratung“ verwendet.6
gemeint, die den Blick auf Muster, Zusammenhänge und Dynamiken lenkt owohldurchsystemtheoretische Konzepte als auch durch erkenntnistheoretische Ansätzebegründet (z. B. Schlippe/Schweitzer 1996, 2013, Ludewig 2009, 2015).Systemtheoretische Konzepte beinhalten Prinzipien und Begriffe für dieBeschreibung und Erklärung der wahrgenommenen psychischen und sozialenPhänomene in der Beratungspraxis. Auf dieser Grundlage werden zum einen dieFunktionsweise von psychischen und sozialen Systemen allgemein und zumanderen das Wie von Veränderung und somit die Rahmenbedingungen undVorgänge von Veränderung beschrieben und erklärt. SystemtheoretischePrinzipien und Begriffe werden überwiegend in den Naturwissenschaften aus denErkenntnissen empirischer Forschung formuliert und vor allem von Psychologen,Pädagogen, Geistes- und Sozialwissenschaftlern oder von Medizinern auf denpsychosozialen Phänomenbereich übertragen. Die systemtheoretischen Konzeptedienen als Orientierungs- und Beschreibungsmodell und in dem Sinne alsepistemologisches2 Modell für den zu untersuchenden Phänomenbereich. SeitBeginn der Übertragung systemtheoretischer Konzepte auf psychische und sozialePhänomene liegt ein thematischer Schwerpunkt auf der Beschreibung vonPrinzipien und Rahmenbedingungen von Veränderungen sowie der Wirkung vonMethoden und Interventionen: Wie können Veränderungen in psychischen undsozialen Systemen ausgelöst werden? Was sind die Prinzipien, nach denen lgen?WelcheRahmenbedingungen oder Umweltfaktoren begünstigen Veränderungen? Wiewirken Interventionen (vgl. Schiepek/Eckert/Kravanja 2013)?Indessen besteht die Annahme, dass die Auswahl, Übertragung und praktischeAnwendung bestimmter Prinzipien und Begriffe wesentlich von gesellschaftlichenWerteinstellungen, Denk- und Lebensweisen beeinflusst werden. SystemischeEpistemologie wird hier in Anlehnung an Bateson als „Grammatik der Wirklichkeitverwendet, die spezifiziert, wie die Objekte und Ereignisse in der Welt zu interpunktierensind“ (Schiepek 1989, 52). Übertragen auf die systemische Beratung wäre das Modell,auf dessen Grundlage die Phänomene innerhalb des Beratungskontextes beschriebenwerden, als Epistemologie zu verstehen.27
Theoretiker und Praktiker als in der Gesellschaft eingebettet, spiegeln in ihrerAkzentuierung die aktuellen gesellschaftlichen Denk- und Handlungsmusterwider (vgl. Schiepek 1991, S. ischerBeratungauchdieVeränderung „kognitiver Konstrukte“ von Wirklichkeit, die als subjektiverOrientierungsrahmen für das Denken und Handeln verstanden werden3. Durch diekonstruktivistischen Ansätze wird zum einen das Wie des menschlichenErkennens und zum anderen das Was der Veränderung und somit der Gegenstandbzw. der Inhalt systemischer Beratungspraxis beschrieben.Dabei liegt bis heute das Hauptaugenmerk auf der Wechselwirkung zwischenKognition und Verhalten: Da das Verhalten von Menschen durch derenkognitiven Konstrukte von Wirklichkeit bestimmt sei, würde eine Veränderungder subjektiven „Prämissen“ eine Veränderung der Verhaltensweisen beinhalten.Demnach ist der hauptsächliche Gegenstand systemischer Beratung eineVeränderung problemerzeugender subjektiver Wirklichkeitskonstrukte. DieMethoden und Interventionen der systemischen Beratung zielen vor allem daraufab, die problemerzeugenden „Prämissen“, die dem Denken und Handeln zugrundeliegen,zu hinterfragenund zu „verstören“, umdenKlientenmehrWahlmöglichkeiten zu eröffnen (vgl. Schlippe/Schweitzer 1996).Der vorrangige Fokus auf die kognitiven Konstrukte von Wirklichkeit ist jedochunzureichend, um ein umfassendes Veränderungsverständnis von psychischen undsozialen Systemen zu erlangen. Zum Beispiel werden Emotionen bis in die1990er-Jahre von den meisten Autoren der systemischen Beratung nicht inBetracht gezogen4.Für kognitive Konstrukte werden zum Beispiel die Begriffe „Weltbild“ (Watzlawick1991b/1981), „Prämisse“ (Bateson 1992/1972, 1993/1979), „Sinn-Attraktoren“ (Kriz2013) und „kognitive Schemata“ (Kriz 2013, Strunk/Schiepek 2014) verwendet.34Schlippe und Schweitzer widmen im Jahr 2012 in ihrer neu überarbeiteten Ausgabeihres weit verbreiteten Lehrbuches zur systemischen Beratung und Therapie gesonderteKapitel dem Thema „Emotionen“ und „über Gefühle sprechen“ (ebda. 2013). Hierbeiliegt die Betonung auf dem Wort „sprechen“, wodurch das Hauptaugenmerk der8
Zudem ist die systemische Beratungspraxis bis heute überwiegend durchsprachliche Interventionen wie zum Beispiel zirkuläre Fragen, n,Umdeutungen,MetaphernoderGeschichten geprägt. Analoge oder nichtsprachliche Methoden beschränken sichin der Regel auf Skulpturen, Systemaufstellungen oder Rituale (z. B.Schwing/Fryszer 2007, Königswieser/Hildebrand 2007, König/Vollmer 2008,Schlippe/Schweitzer 1996, 2010, 2013).Bildhafte analoge Methoden werden in der gängigen Literatur systemischerBeratung nicht aufgeführt oder nur vage angedeutet. Gleichzeitig fordernVertreter der systemischen Beratung, dass der Handlungsspielraum systemischerPraktiker nicht durch die Bestimmung originärer Methoden einschränkt wird.Berater brauchen Wahlfreiheit in ihrem methodischen Vorgehen, um möglichstihren persönlichen Kompetenzen, Neigungen und Grenzen zu entsprechen (vgl.Schiepek/Eckert/Kravanja 2013, 27f.). Hier stellt sich die Frage: Durch welcheMethoden und Interventionen kann das Repertoire systemischer Beratungspraxiserweitert werden?Der Autor dieser Arbeit ist sowohl auf der Grundlage langjähriger eigenerpraktischer Erfahrungen als Lehrsupervisor, Seminarleiter, Dozent und Berater alsauch durch die Teilnahme an verschiedenen mehrjährigen Weiterbildungen inGestalttherapie und in systemischer Beratung sowie an einzelnen Kursen inAnsätzen der Kunsttherapie von der Wirkung analoger und hier vor allembildhafter Methoden überzeugt. Gerade bildhafte analoge Methoden habenoffensichtlich und spürbar häufig eine ausgeprägte Wirkung bei Klienten inEinzelberatungen oder bei Teilnehmern von Seminaren zu verschiedenenProblemstellungen und in unterschiedlichen Kontexten. Analoge Methodenscheinen auf eine überraschende Weise das subjektive Blickfeld augenblicklich zuerweitern und damit verbunden die subjektive Sichtweise auf gemeinte ObjekteMethodik systemischer Beratungspraxis deutlich wird: die Sprache. In ihrer erstenAusgabe des Lehrbuches von 1996 war von „Emotionen“ oder „Gefühlen“ in derBeratungspraxis oder als Forschungsgegenstand nicht ausdrücklich „die Rede“ (ebda.1996). Auch Ludewig geht in seinem 2015 neuaufgelegten Lehrbuch der systemischenTherapie vermehrt auf die Bedeutung von „Emotionen“ in der Beratungspraxis ein (ebda.2015).9
oder Ereignisse zu verändern. Oft ist zu beobachten, dass durch die Anwendunganaloger Methoden der Klient oder Teilnehmer vorher nicht bewusste Elemente,Facetten oder Beziehungen der dargelegten Situation plötzlich einsieht, wodurchsein Erleben sich verändert und neue Handlungsfelder erkannt werden. Auch inanschließenden mündlichen Reflexionen oder schriftlichen Auswertungen wurdedurch unzählige Aussagen von Klienten oder Teilnehmern die Wirkung inähnlicher Weise beschrieben. Hier drängt sich folgende Frage auf: Wie lässt sichdie in der Praxis offensichtlich in Erscheinung tretende Wirkung von analogenMethoden theoretisch beschreiben und begründen?Zwar werden in der einschlägigen Literatur zur praktischen Gestaltung vonSeminaren, Trainings, Workshops oder Coachings im psychosozialen Bereichmitunter analoge Methoden aufgeführt, die jedoch eher als „Werkzeuge“ für diePraxis kurz beschrieben als ausführlich theoretisch begründet sind. ImZusammenhang mit analogen Methoden werden weder wesentliche Begriffeerläutert, noch die Wirkweise theoretisch beschrieben oder begründet. Insgesamtgesehen ist die theoretische Begründung und wissenschaftliche Fundierung vonanlogen Methoden unzureichend. In diesem Zusammenhang stellt sich auchfolgende Frage: Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen digitalen undanalogen Methoden?In der Gesamtbetrachtung ist demnach zum einen der Versuch von Vertreternsystemischer Beratung zu erkennen, die Praxis sowohl durch systemtheoretischeKonzepte als auch durch konstruktivistische Ansätze ausgiebig zu fundieren,wobei die Praxis vor allem auf sprachlichen Interventionen wie zum BeispielFragen oder Kommentaren beruht. Zum anderen werden analoge Verfahren undhier insbesondere bildhafte Methoden in die systemische Beratungspraxis imGrunde nicht mit einbezogen, obwohl diese Verfahren offensichtlich subjektiveSichtweisen und das damit verbundene kognitiv-emotionale und körperlicheErleben wirksam verändern und somit dem Gegenstand systemischer Beratungausdrücklich entsprechen würden. Zugleich ist die Anwendung von analogenMethoden in der Beratungspraxis nicht ausreichend theoretisch beschrieben undbegründet.10
1.2UntersuchungsgegenstandIn erster Linie ist Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit die vonGisela Schmeer in der Kunsttherapie entwickelte Resonanzbildmethode (2003,2006). Das Resonanzbild wird hier als analoge bildhafte Intervention verstandenmit der Absicht, kognitive Konstrukte bzw. kognitive Schemata auf gemeinteObjekte oder Ereignisse zu verändern, sodass sich neue Handlungsmöglichkeitenfür die Klienten eröffnen. Indessen verändert sich das kognitiv-emotionale undkörperliche Erleben des Klienten. Unter den analogen Methoden eignet sich dieResonanzbildmethode besonders für wissenschaftliche Untersuchungen, da diesevon Gisela Schmer in der Literatur ausführlich beschrieben und weitgehend in derAnwendung standardisiert wurde.Das vorrangige Interesse der Untersuchung richtet sich auf die theoretischeBegründung und wissenschaftliche Fundierung der Resonanzbildmethode. Mitanderen Worten: Die Resonanzbildmethode soll in ihrer Wirkung und Wirkweiseweiterführend theoretisch untermauert und wissenschaftlich legitimiert werden.Hierfür werden zum einen erkenntnistheoretische Ansätze des Konstruktivismusund zum anderen systemtheoretische Konzepte aus den Naturwissenschaften alstheoretische Grundlagen mit einbezogen. Auf der einen Seite werden durch eitenundGrenzenmenschlichen Erkennens dargelegt. Auf der anderen Seite werden aus denSystemtheorien der Naturwissenschaften allgemeine Prinzipien und Begriffe fürdie Beschreibung und das Verständnis des psychosozialen Phänomenbereicheshergeleitet. Vor diesem Hintergrund wird die Resonanzbildmethode als Methodesystemischer Beratungspraxis betrachtet, beschrieben und diskutiert. Zudemwerden relevante Begriffe wie zum Beispiel „System“, „Vorstellung, „Resonanz“,oder „Bild“ ausführlich aus dem Blickwinkel verschiedener Disziplinen erläutertund besprochen. Hieraus sollen weitere Erkenntnisse über die Wirkung undWirkweise der Resonanzbildmethode erschlossen werden. In der folgendenAbbildung 1 wird die Einbettung der Resonanzbildmethode im theoretischen Feldgrafisch dargestellt:11
EpistemologieErkenntnistheoretische Ansätzedes KonstruktivismusGrundlagenforschungSystemtheorien hergeleitet ausempirischer Erforschungnaturwissenschaftlicher PhänomeneVorgänge pien undBegriffeSystemische BeratungKlärungrelevanterBegriffePsychisches eAbbildung 1 Die Einbettung der Resonanzbildmethode im theoretischen FeldQuelle: Eigene DarstellungEin weiteres Interesse liegt in der kritischen Untersuchung und Diskussionaktueller theoretischer Grundlagen systemischer Beratung. In dieser Hinsichtwerden relevante konstruktivistische Ansätze sowie wesentliche Prinzipien undBegriffe aktueller systemtheoretischer Konzepte nachgezeichnet und zum Teilvergleichend gegenübergestellt. Durch den Einbezug zusätzlicher theoretischerÜberlegungen und Ansätze aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen undFachgebieten wie der Philosophie, Kognitionspsychologie, Gestaltpsychologieund Humanistischen Psychologie werden die vorhandenen theoretischen Säulensystemischer Beratung einerseits untermauert und andererseits kritisch diskutiert.Genaugenommenwerdenmetaphorischen GehaltdietheoretischenGrundlagennachihremund ihrer „Brauchbarkeit“ für die systemischeBeratungspraxis untersucht.Als Phänomenbereich der Veränderung wird das psychische System und hierinsbesondere die kognitive Ebene betrachtet und beschrieben. Der Gegenstand derVeränderung ist das subjektive kognitive Konstrukt bzw. kognitive Schema vongemeinten Objekten oder Ereignissen, welches sich auf kognitiver Ebeneherausbildet. Insofern liegt sowohl bei den Ausführungen der theoretischenGrundlagen als auch bei der Beschreibung der Resonanzbildmethode das12
Hauptaugenmerk auf dem psychischen System und hier insbesondere auf derkognitiven Ebene. In diesem Zusammenhang wird die kognitive Ebene nichtisoliert betrachtet, sondern in ihren Wechselwirkungen mit der emotionalen undkörperlichen Ebene besprochen.1.3Wissenschaftliche Fragestellungen und ZielsetzungenAusgehend von dem Untersuchungsgegenstand liegt das Hauptaugenmerk dervorliegenden Arbeit auf folgender übergeordneten Fragestellung: Wie kann grundsystemtheoretischer Prinzipien und Begriffe beschrieben und weiterführendwissenschaftlich begründet werden?Aus dieser übergeordneten Fragestellung leiten sich weitere Fragen ab, die indieser Arbeit an relevanten Stellen zusätzlich besprochen werden. Insgesamtwerden die folgenden Fragen jedoch als untergeordnet betrachtet, da diese denthematischen Schwerpunkt und das Hauptinteresse der Untersuchung eher amRande berühren.Systemtheoretische Prinzipien und Begriffe gelten in dieser Arbeit alswesentliches Fundament für die Legitimierung analoger bildhafter Methoden inder Beratungspraxis. Vor diesem Hintergrund werden analoge bildhafte Methodenals Methoden systemischer Beratung betrachtet und beschrieben. Aus dieserBetrachtungsweise ergibt sich sogleich die Frage: Wie begründend emeinenfürdiepsychosoziale Beratungspraxis und im Besonderen für die Anwendung derResonanzbildmethode?Die aktuellen systemtheoretischen Konzepte zur Fundierung der psychosozialenBeratungspraxis sind aus den Naturwissenschaften hergeleitet: Wissenschaftlererkennen und beschreiben auf der Grundlage empirischer Erforschung menenkonkretesystembezogene Eigenschaften und Beziehungen. Auf dieser Basis grundlegenderForschung werden allgemeingültige Prinzipien und Begriffe formuliert, wodurchein abstraktes disziplinübergreifendes systemtheoretisches Konzept entsteht.Theoretiker systemischer Beratung übertragen und (re-)konkretisieren diese13
abstrakten Prinzipien und Begriffe auf den psychosozialen Phänomenbereich.Dabei stellt sich die Frage: Inwieweit ist diese (Re-)Konkretisierung in denpsychosozialen Bereich von den ursprünglichen systemtheoretischen Konzeptenaus den Naturwissenschaften abgekoppelt und in diesem Sinne metaphorisch?Systemtheoretiker gehen davon aus, dass die „Brauchbarkeit“ eines Konzeptesoder Modells davon abhängt, inwieweit dessen Begriffe und Aussagen denwahrgenommenen Eigenschaften, Beziehungen und Sachverhalten des gemeintenPhänomenbereiches entsprechen (vgl. Simon/Stierlin 1994, 356).Nach dem erkenntnistheoretischen Ansatz des Konstruktivismus spiegelnKonzepte oder Modelle nicht die Realität, sie stellen keine Beschreibungen eines„ontologischen wirklichen Arrangements“ dar (Glasersfeld 1987). Konzepte oderModelle werden vielmehr als kognitive Strukturen von Beobachtern verstanden,um Wahrnehmungen zu organisieren und eine geordnete Wirklichkeit zukonstruieren, die für die jeweiligen Beobachter „gangbar“ ist. Modelle werdennach ihrer „Passung“ und „Brauchbarkeit“ beurteilt (vgl. Glasersfeld 1985,1991/1981, Watzlawick 1991b/1981, 1992/1976).Demnach ist im Kontext der systemischen Beratung das Auswahlkriterium fürsystemtheoretische Ansätze deren Brauchbarkeit als Modell für die Beschreibungund Erklärung psychischer und sozialer Phänomene und nicht deren"Wahrheitswert". Hier stellt sich die Frage: Wie „tragfähig“ und „brauchbar“sind die aus den Naturwissenschaft
woraus die sogenannte „systemische Beratung“1 hervorgegangen ist. Systemische Beratung ist heute weit verbreitet und wird für einzelne Personen, Gruppen, Teams, Familien und für Organisationen angeboten. Systemische Beratung wird als konzeptioneller Entwurf psychosozialer Pr